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August 2024

Vom „Angstgegner“ zum „Gamechanger“ – Die aktuelle Entwicklung des Annahmeverzugslohnrisikos im Kündigungsschutzprozess aus Arbeitgebersicht

Die bisherige Rechtslage bei Annahmeverzugslohnansprüchen von Arbeitnehmern während eines Kündigungsschutzprozesses stellte über Jahrzehnte einen der wesentlichen Problempunkte in der anwaltlichen Vertretung von Arbeitgebern dar. Eine völlig neue Dynamik hat der Themenkomplex mit einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Mai 2020 bekommen. Seither ist es zu einer Reihe weiterer Entscheidungen durch die Instanzgerichte und (erneut) des Bundesarbeitsgerichts gekommen, durch die sich die Thematik völlig verändert auf Seiten der Arbeitgeber stellt, daher der Begriff des „Gamechanger“. Worum geht es?

Erweist sich eine durch den Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung des Arbeitnehmers im Verlaufe des Kündigungsschutzprozesses durch rechtskräftiges Urteil als unwirksam, so steht dem Arbeitnehmer grundsätzlich nach § 615 S. 1 BGB i.V.m § 11 KSchG einen Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugslohn zu. Unter Annahmeverzugslohn versteht man denjenigen Lohn, welcher dem Arbeitnehmer infolge der unwirksamen Kündigung ausgeblieben ist.

Dieser grundsätzlich nach § 615 S. 1 BGB bestehende Anspruch des Arbeitnehmers kann jedoch unter den Voraussetzungen von § 615 S. 2 BGB und § 11 KSchG eingeschränkt werden. Nach § 11 Nr. 1 KSchG muss sich Nämlich der Arbeitnehmer denjenigen Verdienst anrechnen lassen, den er während des Kündigungsschutzprozesses durch anderweitige Arbeit verdient hat. Von besonderer praktischer Relevanz ist hingegen die Regelung des § 11 Nr. 2 KSchG. Demnach muss sich der Arbeitnehmer denjenigen Verdienst auf seinen Annahmeverzugslohnanspruch anrechnen lassen, den er mit einer zumutbaren Arbeit hätte verdienen können. Die Beurteilung der Zumutbarkeit einer anderweitigen Tätigkeit richtet sich nach „Treu und Glauben“.

Die Entwicklung der Rechtsprechung

Vor der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Mai 2020 standen Arbeitgebern während des Kündigungsschutzprozesses keinerlei Auskunftsansprüche gegen den Arbeitnehmer und dessen Bewerbungsbemühungen zu.

1. Ständige Rechtsprechung bis 2020

Vor der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Mai 2020 standen Arbeitgebern während des Kündigungsschutzprozesses keinerlei Auskunftsansprüche gegen den Arbeitnehmer und dessen Bewerbungsbemühungen zu.

2. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19

Am 27. Mai 2020 entscheid das Bundesarbeitsgericht erstmals, dass der Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzverfahrens gem. § 242 BGB einen Auskunftsanspruch hinsichtlich der dem Arbeitnehmer durch die Agentur für Arbeit sowie dem Jobcenter unterbreiteten Stellen hat. Dabei erstreckt sich der Anspruch auf die Art der Tätigkeit, die Vergütung, die Arbeitszeit und den Arbeitsort. Zudem kann der Arbeitgeber Auskunft verlangen, auf welche der angebotenen Stellen sich der Arbeitnehmer tatsächlich beworben hat. Nur so sei es dem Arbeitgeber zumutbar, hinreichend konkret Indizien für ein böswilliges Unterlassen des Arbeitnehmers nach § 11 Nr. 2 KSchG im Prozess vorzutragen.

3. Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. September 2022 – 6 Sa 280/22

Eine Konkretisierung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts erfolgte am 3. September 2022 durch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. Demnach stellen auch die Qualität und Quantität der durch den Arbeitnehmer getätigten Bewerbungen ein Indiz für ein mögliches böswilliges Unterlassen nach § 11 Nr. 2 KSchG dar. In diesem entschiedenen Fall hatte der Arbeitnehmer über einen Zeitraum von 29 Monaten 103 Bewerbungen geschrieben. Dies entspricht weniger als einer Bewerbung pro Woche und sei nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg in quantitativer Hinsicht nicht ausreichend. Dementsprechend sei gemäß § 11 Nr. 2 KSchG ein böswilliges Unterlassen des Arbeitnehmers anzunehmen. Ein Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugslohn käme Daher nicht in Betracht.

4. Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 27. April 2023 – 8 Sa 793/22

Am 27. April 2023 entschied das Landesarbeitsgericht Köln, dass Arbeitgebern angesichts der Entwicklung der Rechtsprechung auch ein Auskunftsanspruch hinsichtlich derjenigen Stellenangebote zustünde, die dem Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber selbst unterbreitet wurden. Konkret kann der Arbeitgeber auch Auskunft darüber verlangen, auf welche der von ihm angebotenen Stellen sich der Arbeitnehmer tatsächlich beworben habe, bei welchen der potenziellen neuen Arbeitgeber eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch erfolgt sei, wann und bei welchen potenziellen Arbeitgebern es zu einem Bewerbungsgespräch gekommen ist und bei welchen potenziellen Arbeitgebern es nicht zu einem Bewerbungsgespräch gekommen ist. Auf all diese Fragen muss der Arbeitnehmer schlüssig Auskunft erteilen, um einen Annahmeverzugslohnanspruch aufrecht zu erhalten.

5. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Januar 2024 – 5 AZR 331/22

Ebenfalls beachtlich ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Januar 2024. Demnach kann Böswilligkeit des Arbeitnehmers i.S.v § 11 Nr. 2 KSchG auch gegeben sein, wenn dieser eine anderweitige Tätigkeit zu einer objektiv zu niedrigen Vergütung aufnimmt.

6. Fazit

Für Arbeitgeber empfiehlt es sich, sich regelmäßig und intensiv mit der immer noch virulenten Rechtsprechung des Annahmeverzugslohns auseinander zu setzen.

Nach dem Stand der aktuellen Rechtsprechung sollten folgende Punkte in der prozessualen Vertretung von Arbeitgebern berücksichtigt werden, um möglichen Annahmeverzug Lohnansprüchen bestmöglich zu begegnen:

  • Arbeitnehmer wiederholt zur Auskunft auffordern, welche Stellen ihnen durch das Jobcenter sowie die Agentur unterbreitet wurden, unter Angabe des Arbeitsorts, der Arbeitszeit und der zu erwartenden monatlichen Bruttovergütung,
  • angemessene Fristen zur Auskunft setzen,
  • Arbeitnehmern während des Kündigungsschutzprozesses stetig neue sofort verfügbare Stellenangebote zusenden, den jeweiligen Qualifikationen des Arbeitnehmers entsprechen,
  • Regelmäßig eine Auskunft darüber fordern, auf welcher der durch den Arbeitgeber angebotenen Stellen sich der Arbeitnehmer beworben hat,
  • bei welchen durch den Arbeitgeber angebotenen Stellen es zu einem Bewerbungsgespräch gekommen ist und bei welchen Stellen es nicht zu einem Bewerbungsgespräch gekommen ist,
  • sorgfältig prüfen, ob die Tätigkeit mit der, der Arbeitnehmer einen anderweitigen Verdienst erzielt, der zu erwartenden Vergütung entspricht, oder ob sich dieser vorsätzlich eine geringere Vergütung akzeptiert hat, um seinen Annahmeverzugslohnanspruch zumindest teilweise aufrecht zu erhalten.
  • Im Prozess rechtzeitig, sobald auf Annahmeverzugslohn rechtzeitig Hilfswiderklage auf Auskunft gegen den Arbeitnehmer erheben.

7. Ausblick

Die bis zum Jahre 2020 bestehende arbeitnehmerfreundliche Rechtsprechung des Bundearbeitsgerichts hinsichtlich Annahmeverzugslohnansprüchen von Arbeitnehmern ist weitgehend obsolet. Mit Spannung bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sowie der Instanzgerichte die nächsten Jahre weiterentwickeln wird. Einstweilen bleibt festzuhalten, dass die Prozessrisiken auch bei unwirksamen Kündigungen von Arbeitnehmern deutlich gesunken sind.

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Autor dieses Beitrags:

Jan Arne Killmer
Partner
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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