Mai 2024
Arbeits- und sozialrechtliche Pläne im schwarz-roten Koalitionsvertrag

Am 5. Mai 2025 haben CDU, CSU und SPD in Berlin ihren 144 Seiten starken Koalitionsvertrag mit dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ unterzeichnet. Dieser sieht auch einige Vorhaben mit Bezug zum Arbeits- und Sozialrecht vor. In der Präambel heißt es, dass der soziale Zusammenhalt gestärkt werden soll, wozu „verlässliche soziale Sicherungssysteme, mehr Chancengleichheit, Mitbestimmung und gute Löhne“ gehören. Der Koalitionsvertrag hält in Sachen Arbeit und Soziales unter anderem folgendes bereit.
1. Arbeitszeit
Im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie soll die Möglichkeit einer wöchentlichen statt einer täglichen Höchstarbeitszeit geschaffen werden, um dem Wunsch von Beschäftigten und Unternehmen nach mehr Flexibilität nachzukommen. Zur konkreten Ausgestaltung soll ein Dialog mit den Sozialpartnern durchgeführt werden. Die Arbeitszeiterfassung soll durch eine Pflicht zur elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten unbürokratisch geregelt werden, wobei es für kleine und mittlere Unternehmen angemessene Übergangsregelungen geben soll. Im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie soll weiterhin die Vertrauensarbeitszeit ohne Zeiterfassung möglich sein. Die Koalitionspartner wollen die hohen Standards im Arbeitsschutz und die geltenden Ruhezeitregelungen beibehalten.
2. Befristung
Insbesondere bei Befristungen sollen Schriftformerfordernisse abgebaut werden. Arbeitsverhältnisse während des Studiums sollen vom Vorbeschäftigungsverbot gemäß § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ausgenommen werden. Zudem soll das Vorbeschäftigungsverbot gemäß § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG für Rentner, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze zu einem bisherigen Arbeitgeber zurückkehren, aufgehoben und damit ein befristetes Weiterarbeiten ohne Sachgrund ermöglicht werden werden.
3. Betriebliche Altersversorgung
Die betriebliche Altersversorgung soll gestärkt und ihre Verbreitung in kleineren und mittleren Betrieben und für Geringverdiener vorangetrieben werden. Die Förderung von Geringverdienern soll verbessert werden. Die Koalitionspartner wollen die betriebliche Altersvorsorge digitalisieren, vereinfachen, transparenter machen und entbürokratisieren sowie die Portabilität der betrieblichen Altersvorsorge bei einem Arbeitgeberwechsel erhöhen.
4. Betriebliche Mitbestimmung
Die Koalitionspartner wollen die Mitbestimmung weiterentwickeln. Online-Betriebsratssitzungen und Online-Betriebsversammlungen sollen als gleichwertige Alternativen zu Präsenzformaten ermöglicht werden. Zusätzlich soll die Option, online zu wählen, im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden. Das Zugangsrecht der Gewerkschaften in die Betriebe soll um einen digitalen Zugang erweitert werden.
5. Bürgergeld / Grundsicherung für Arbeitssuchende
Das „bisherige Bürgergeldsystem“ soll zu einer „neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende“ umgestaltet werden. Die schnellstmögliche Vermittlung in Arbeit soll gestärkt werden. Jede arbeitslose Person habe sich aktiv um Beschäftigung zu bemühen. Im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern sollen Mitwirkungspflichten und Sanktionen verschärft werden. Die Karenzzeit für Vermögen soll abgeschafft und die Höhe des Schönvermögens an die Lebensleistung gekoppelt werden.
6. Bürokratieabbau/ Digitalisierung
Die Themen Bürokratieabbau und Digitalisierung finden an mehreren Stellen des Koalitionsvertrages Erwähnung. So wollen die Koalitionspartner beispielsweise sicherstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger sowie Betriebe im Kontakt mit den Sozialversicherungen und Verwaltungen nur einmal ihre jeweiligen Daten eingeben müssen und diese dann medienbruchfrei von Bund, Ländern und Kommunen genutzt und verarbeitet werden können („Once-Only-Prinzip“). Zwischen den Sozial-, Finanz- und Sicherheitsbehörden soll ein vollständiger Datenaustausch ermöglicht werden. Schwarzarbeitskontrollen sollen bürokratiearm und effektiv ausgestaltet werden. Im Rahmen eines nationalen „Sofortprogramms für den Bürokratierückbau“ sollen bis Ende des Jahres 2025, insbesondere mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen, Verpflichtungen zur Bestellung von Betriebsbeauftragten abgeschafft und der Schulungs-, Weiterbildungs- und Dokumentationsaufwand signifikant reduziert werden.
7. Entgeltgleichheit
Die Koalitionspartner wollen gleichen Lohn für gleiche Arbeit für Frauen und Männer bis 2030 verwirklichen. Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie soll bürokratiearm in nationales Recht umgesetzt werden. Hierzu soll eine Kommission eingesetzt werden, die bis Ende 2025 Vorschläge erarbeitet. Ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren soll dann unverzüglich eingeleitet werden. Die Umsetzungsfrist der bereits im Juni 2023 in Kraft getretenen EU-Entgelttransparenzrichtlinie endet am 7. Juni 2026.
8. Fachkräftesicherung
Die Sicherung der Fachkräftebasis ist nach Auffassung der Koalitionspartner ein entscheidender Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands. Ein entscheidender Faktor zur Fachkräftesicherung sei die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen, deren finanzielle Unterstützung durch ein jährliches Familienbudget für Alltagshelfer für Familien mit kleinen Kindern und/oder pflegebedürftigen Angehörigen mit kleinen und mittleren Einkommen geprüft werden soll. Ergänzend brauche Deutschland qualifizierte Einwanderung. Es soll eine digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung – „Work-and-stay-Agentur“ – mit einer zentralen IT-Plattform als einheitliche Ansprechpartnerin für ausländische Fachkräfte geschaffen werden. Die Agentur soll unter anderem alle Prozesse der Erwerbsmigration und der Anerkennung von Berufs- und Studienabschlüssen bündeln und beschleunigen. Die Koalitionspartner setzen sich für ein einheitliches Anerkennungsverfahren innerhalb von acht Wochen ein. Hürden für Flüchtlinge bei der Beschäftigungsaufnahme sollen abgebaut und Arbeitsverbote auf maximal drei Monate reduziert werden.
9. Mindestlohn
Die Koalitionspartner halten am gesetzlichen Mindestlohn sowie einer „starken unabhängigen Mindestlohnkommission“ fest. Bei der Festsetzung des Mindestlohns soll sich die Mindestlohnkommission im Rahmen einer Gesamtabwägung künftig neben der Tarifentwicklung auch an 60 % des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. Auf diesem Weg soll ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar sein.
10. Rentnerbeschäftigung
Ein abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren soll auch weiterhin möglich sein. Gleichzeitig sollen zusätzliche finanzielle Anreize geschaffen werden, damit sich freiwilliges längeres Arbeiten mehr lohnt. Statt einer weiteren Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters setzen die Koaltionspartner auf mehr Flexibilität beim Übergang vom Berufsleben in die Rente. Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, soll sein Gehalt bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei erhalten (sog. Aktivrente).
11. Rentenniveau
Das Rentenniveau soll bis zum Jahr 2031 gesetzlich bei 48 % abgesichert werden. Die sich daraus ergebenden Mehrausgaben sollen mit Steuermitteln ausgeglichen werden. Am Nachhaltigkeitsfaktor wollen die Koalitionspartner „grundsätzlich“ festhalten. Nur eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik, eine hohe Beschäftigungsquote und eine angemessene Lohnentwicklung ermöglichten es, dies dauerhaft zu finanzieren. Die Koalitionspartner wollen deshalb im Jahr 2029 im Hinblick auf diese Faktoren die tatsächliche Entwicklung des Beitrags und des Bundeszuschusses evaluieren, um gegebenenfalls weitere Maßnahmen zu ergreifen.
12. Soziale Absicherung Selbstständiger
Alle „neuen Selbstständigen“, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem zugeordnet sind, sollen „gründerfreundlich“ in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Andere Formen der Altersvorsorge, die eine verlässliche Absicherung für Selbstständige im Alter gewährleisten, sollen weiterhin möglich bleiben.
13. Steueranreize für Überstundenzuschläge und Vollzeitprämien
Damit sich Mehrarbeit auszahlt, sollen Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte bzw. an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgeht, steuerfrei gestellt werden. Als Vollzeitarbeit soll dabei für tarifliche Regelungen eine Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden und für nicht tariflich festgelegte oder vereinbarte Arbeitszeiten von 40 Stunden gelten. Zur näheren Ausgestaltung soll eine praxisnahe Lösung in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern entwickelt werden. Die Koalitionspartner wollen einen neuen steuerlichen Anreiz zur Ausweitung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten schaffen. Zahlen Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit, soll diese Prämie steuerlich begünstigt werden.
14. Tarifbindung
Erklärtes Ziel der Koalitionspartner ist eine höhere Tarifbindung. Nach Auffassung der Koalitionspartner müssen Tariflöhne wieder die Regel werden und dürfen nicht die Ausnahme bleiben. Deshalb soll ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg gebracht werden, dass für Vergaben auf Bundesebene ab 50.000 EURO und für Start-ups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahre nach ihrer Gründung ab 100.000 EURO gelten soll. Bürokratie, Nachweispflichten und Kontrollen sollen dabei auf ein absolutes Minimum begrenzt werden. Darüber hinaus wollen die Koalitionspartner die Mitgliedschaft in Gewerkschaften durch steuerliche Anreize attraktiver machen.
15. Fazit
Erkennbar sind positive Ansätze, wie die Flexibilisierung der Arbeitszeit durch eine wöchentliche statt einer täglichen Höchstarbeitszeit. Auch die Bestrebungen zum Abbau von Bürokratie und zur Förderung der Digitalisierung sind erfreulich. Abzuwarten bleibt, welche der beabsichtigten Gesetzgebungsvorhaben tatsächlich – insbesondere zeitnah – und mit welchem konkreten Gesetzesinhalt auf den Weg gebracht werden.
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Autor dieses Beitrags:

Ralph Siebert
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
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