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Januar 2025

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Diagnosen bequem per Telefon oder Videochat – Herausforderungen für Arbeitgeber im Zeitalter von Telemedizin

Die Telemedizin hat die Gesundheitsversorgung revolutioniert und ermöglicht es Patienten, ärztliche Konsultationen bequem von zu Hause auszuführen. Dies betrifft auch die Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigungen), die spätestens seit der Coronapandemie zunehmend über Telefon oder Videochat erfolgt. Doch dieser digitale Fortschritt bringt neue Herausforderungen für Arbeitgeber mit sich, die sicherstellen müssen, dass die AU-Bescheinigungen den rechtlichen Anforderungen entsprechen und den Betriebsablauf nicht gefährden.

1. Rechtlicher Rahmen für AU-Bescheinigungen via Telemedizin

Fallen Arbeitnehmer für mehrere Tage krankheitsbedingt aus, so müssen sie ihre Arbeitsunfähigkeit gemäß § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) durch eine ärztliche Bescheinigung dem Arbeitgeber gegenüber nachweisen. Denn Voraussetzung für den gesetzlichen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist der Nachweis über die Arbeitsunfähigkeit. Die Bescheinigung muss von dem behandelnden und in Deutschland zugelassenen Arzt ausgestellt werden.

Traditionell mussten Arbeitnehmer beim Arzt persönlich erscheinen, um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erhalten. Dank der Telemedizin können sich Patienten nun eine Diagnose über digitale Kanäle einholen. Ärzte können über Telefon oder Videochat feststellen, ob eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt, und eine Bescheinigung ausstellen.

Dies ergibt sich zwar nicht aus dem EFZG selbst, allerdings heißt es in § 4 Absatz 5 der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie (AU-RL) des gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).  „Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit darf nur auf Grund einer ärztlichen Untersuchung erfolgen. Diese erfolgt unmittelbar persönlich oder mittelbar persönlich im Rahmen einer Videosprechstunde oder nach telefonischer Anamnese (…)“

Dabei ist zu beachten, dass die Richtlinie im Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht verbindlich ist. Verstößt eine AU-Bescheinigung jedoch gegen die §§ 4 und 5 der AU-RL nimmt die Rechtsprechung eine Erschütterung des Beweiswertes der Bescheinigung an (BAG v. 28.06.2023 – 5 AZR 335/22).

2. Ärztliche Untersuchung im Rahmen einer Videosprechstunde

Nach der AU-RL ist es grundsätzlich zulässig, eine erstmalige Arbeitsunfähigkeit von bis zu 7 Tagen per Videosprechstunde mit einem Arzt feststellen zu lassen. Die Zulässigkeit knüpft dabei an folgende Kriterien an:

  • Die Erkrankung schließt die Untersuchung via Video nicht aus.
  • Ist der Patient nicht vorher dem Arzt/der Praxis aufgrund früherer Behandlung unmittelbar persönlich bekannt, soll die AU-Bescheinigung nicht über einen Zeitraum von bis zu drei Kalendertagen hinausgehen.

Die Feststellung des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit per Videosprechstunde soll allerdings nur erfolgen, wenn der Patient dem Arzt/der Praxis vorher aufgrund unmittelbarer persönlicher Untersuchung bekannt ist.

3. Ärztliche Untersuchung im Rahmen einer telefonischen Anamnese

Gemäß § 4 Abs. 5a AU-RL ist die erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit von bis zu fünf Tagen auch per telefonischer Anamnese möglich. Vorausgesetzt wird dabei eine Erkrankung ohne schwere Symptomatik und eine frühere persönliche unmittelbare Behandlung des Arbeitnehmers bei dem Arzt/der Praxis.

4. Ärztliche Untersuchung ohne ein persönliches Gespräch?

Ein neuer Trend im Bereich der AU-Bescheinigungen ist die Möglichkeit, eine AU-Bescheinigung komplett ohne ärztlichen Kontakt zu erhalten. Hierbei können Arbeitnehmer über Online-Portale oder Apps (bspw. https://dransay.com/ oder https://au-schein.de/ ), häufig ohne direktes Gespräch mit einem Arzt, eine Bescheinigung anfordern. In solchen Fällen erfolgt die Diagnose nicht durch eine persönliche Untersuchung oder ein Telefonat, sondern oft basierend auf einem Fragebogen oder einer Selbstdiagnose des Patienten, welche digital überprüft wird. Anbieter werben u.a. damit, dass eine 100%-tige Lohnzahlung erfolgt, sollte der Arbeitgeber die Bescheinigung nicht akzeptieren.

Ein zentrales Problem bei AU-Bescheinigungen, die ohne direkten Kontakt zu einem Arzt ausgestellt werden, ist die Frage der Authentizität. Ohne eine ärztliche Untersuchung oder ein Gespräch ist es für Arbeitgeber schwer, die Echtheit der Bescheinigung nachzuvollziehen. Auch die korrekte Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit kann in solchen Fällen infrage gestellt werden, da der Arzt keine Möglichkeit hatte, den Patienten persönlich zu begutachten.

Der rechtliche Rahmen für solche Bescheinigungen ist noch nicht vollständig geklärt. AU-Bescheinigungen ohne jeglichen ärztlichen Kontakt könnten daher rechtlich problematisch sein. Hier drohen Unsicherheiten in Fällen krankheitsbedingten Ausfalles zu entstehen, welche potenzielle rechtliche Auseinandersetzungen mit sich bringen können.

Ohne ärztliche Überprüfung durch eine Fachkraft besteht ein erhöhtes Risiko, dass AU-Bescheinigungen missbräuchlich angefordert werden, z. B. durch Arbeitnehmer, die die Arbeitsunfähigkeit nur vorgeben, um der Arbeit fern zu bleiben. Der Arbeitgeber kann in solchen Fällen keine objektive Bestätigung der Diagnose verlangen, was zu einer möglichen Zunahme von Fehlzeiten und betrieblichen Störungen führen könnte.

5. Herausforderungen für den Arbeitgeber

Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass die AU-Bescheinigungen den rechtlichen Anforderungen entsprechen. Besonders im Hinblick auf die Sicherheit der Diagnose und die Authentizität der Bescheinigung können Telekonsultationen Fragen aufwerfen. Arbeitgeber müssen darauf achten, dass die digitale AU-Bescheinigung genauso verbindlich und rechtssicher ist wie eine herkömmliche Bescheinigung.

Ein weiteres Problem ist die Prävention von Missbrauch. Es könnte für Arbeitnehmer verlockend sein, eine AU-Bescheinigung auf einfachem Weg zu erhalten, ohne wirklich krank zu sein. Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass der Prozess transparent ist und keine Anreize zur Fälschung von Diagnosen bestehen.

6. Lösungsansätze für den Arbeitgeber

Arbeitgeber sollten sich über die gesetzlichen Vorgaben zu AU-Bescheinigungen durch Telemedizin informieren und diese in ihren internen Prozessen verankern. Dies kann auch durch Schulungen für HR-Abteilungen erfolgen. Zudem sollten Arbeitgeber sicherstellen, dass alle Mitarbeiter über die Nutzung von Telemedizin für AU-Bescheinigungen informiert sind und sie transparent über die Risiken der Missachtung von AU-Regelungen aufklären. Ein klarer Leitfaden, der den Prozess verständlich darstellt, hilft, Missverständnisse zu vermeiden. Zudem können zusätzliche Kontrollmechanismen eingeführt werden, wie bspw. regelmäßige Überprüfungen der AU-Bescheinigungen. Insbesondere einschlägige Websites sollten arbeitgeberseitig bekannt sein und bei Zweifeln kann die Zulassung des ausstellenden Arztes überprüft werden.

7. Fazit

Die Telemedizin bietet eine moderne und praktische Lösung für die Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Für Arbeitgeber ist es jedoch entscheidend, die rechtlichen und betrieblichen Herausforderungen zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Nur so kann die Telemedizin als wertvolle Ergänzung zur herkömmlichen ärztlichen Versorgung genutzt werden, ohne den Betrieb und die Compliance zu gefährden. Insgesamt stellen AU-Bescheinigungen ohne ärztlichen Kontakt eine riskante Entwicklung für Arbeitgeber dar, die klare Richtlinien und Maßnahmen benötigen, um Missbrauch zu vermeiden und die rechtlichen Anforderungen zu gewährleisten.

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Autorin dieses Beitrags:

Gretje Mannigel
Rechtsanwältin in Anstellung

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