März 2025
Auswirkungen des neuen Selbstbestimmungsgesetzes auf das Arbeitsverhältnis

Am 1. November 2024 ist das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) vollständig in Kraft getreten und hat durch die Regelung eines neuen Rahmens für die Korrektur des rechtlichen Geschlechtseintrags insbesondere das bisherige Transsexuellengesetz (TSG) abgelöst. Das SBGG hat auch Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis bzw. die Arbeitswelt.
I. Hintergrund der Neuregelung
Gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 3 Personenstandsgesetz (PStG) wird das Geschlecht eines Kindes bereits kurz nach der Geburt in das Geburtenregister eingetragen. Seit 2013 konnte der Geschlechtseintrag offen gelassen werden, wenn das Kind nicht den bis dato üblichen Geschlechtseinträgen „weiblich“ oder „männlich“ zugeordnet werden konnte. Im Oktober 2018 erkannte das Bundesverfassungsgericht einen Anspruch auf eine „Dritte Option“ aufgrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) an und verpflichtete den Gesetzgeber, bis zum 31. Dezember 2018 eine verfassungsgemäße Regelung herbeizuführen (BVerfG vom 10.Oktober 2017 – 1 BvR 2019/16). Ende 2018 passte der Gesetzgeber das Personenstandsrecht an und sah die weitere Eintragungsmöglichkeit „divers“ vor. Das Transsexuellengesetz (TSG) regelte ab 1980 die Möglichkeit zur Korrektur eines Eintrags von „weiblich“ zu „männlich“ und umgekehrt. Gemäß dem TSG war zuletzt immer noch die Vorlage von zwei medizinisch-psychologischen Gutachten in einem gerichtlichen Verfahren Voraussetzung für eine Korrektur des Geschlechtseintrags für transgeschlechtliche Personen. Für „Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“, also für intergeschlechtliche Personen, bestand seit 2019 eine Korrekturmöglichkeit in dem personenstandsrechtlichen und damit behördlichen Verfahren durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ (§ 45b Abs. 3 PStG).
Das SBGG vereinheitlicht die Regelungen und das Verfahren. Nach § 2 Abs. 1 S. 1 SBGG kann jede Person, deren Geschlechtsidentität von ihrem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister abweicht, gegenüber dem Standesamt erklären, dass die Angabe zu ihrem Geschlecht in einem deutschen Personenstandseintrag geändert werden soll. Die Erklärung muss beinhalten, welche Eintragung („männlich“, „weiblich“, „divers“, „ohne Angabe“) begehrt wird. Mit der Erklärung sind die Vornamen zu bestimmen, welche die Person künftig führen möchte und die „dem gewählten Geschlechtseintrag entsprechen“. Die Erklärung über den Geschlechtseintrag wirkt unmittelbar statusändernd. Die Ernstlichkeit des Wunsches, den Geschlechtseintrag zu ändern, muss nicht mehr sachverständig begutachtet oder durch ärztliche Bescheinigung nachgewiesen werden. Eine materielle Prüfkompetenz des Standesamtes besteht nicht.
2. Offenbarungsverbot
Nach dem in § 13 Abs. 1 SBGG niedergelegten Offenbarungsverbot dürfen vorherige Geschlechtsangaben sowie Vornamen ohne Zustimmung der betroffenen Person nicht offenbart oder ausgeforscht werden, soweit nicht besondere Gründe des öffentlichen Interesses eine Offenbarung der Daten erfordern. Das Offenbarungsverbot
richtet sich nicht nur an staatliche Stellen, sondern auch an private Personen und damit auch an Arbeitgeber. Somit müssen im laufenden Arbeitsverhältnis beispielsweise Angaben zur Person auf der Internetseite sowie in dienstlichen E-Mail-Adressen und E-Mail-Signaturen geändert werden, soweit die Angaben Rückschlüsse auf den früheren Geschlechtseintrag oder frühere Vornamen zu lassen. Dies wird bei biografischen Angaben auf der Internetseite sowie in E-Mail-Signaturen regelmäßig der Fall sein, während bei personalisierten E-Mail-
Adressen eine Beschränkung auf den Nachnamen möglich ist. Nicht zulässig ist beispielsweise eine Offenbarung durch ein Mitarbeiter-Rundschreiben mit dem Inhalt „Karl Schmidt heißt jetzt Karla Schmidt“. Ein Verstoß gegen das Offenbarungsverbot ist als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu 10.000 € bedroht, wenn dadurch die betroffene Person absichtlich geschädigt wird.
3. Neuausstellung von Arbeitsverträgen, Zeugnissen und ähnlichen Dokumenten
Gemäß § 10 Abs. 2 S. 1 SGBB kann die betroffene Person unter anderem verlangen, dass Zeugnisse und andere Leistungsnachweise sowie Ausbildungs- und Dienstverträge, soweit diese Angaben zum Geschlecht oder zu den Vornamen enthalten, mit dem geänderten Geschlechtseintrag und den geänderten Vornamen neu ausgestellt werden, wenn ein berechtigtes Interesse glaubhaft gemacht werden kann. Der Anspruch auf Neuausstellung richtet sich gemäß § 10 Abs. 3 SBGG nicht nur gegen die öffentliche Stelle, sondern ausdrücklich auch gegen die private Stelle oder Person, die das zu ändernde Dokument ausgestellt hat, als auch gegen den Arbeitgeber. Nach der Gesetzesbe-
gründung liegt ein solches Interesse in der Regel vor, wenn die Notwendigkeit einer Anpassung zur Erzielung einer Übereinstimmung der Angaben in dem jeweiligen Dokument mit dem geänderten Geschlechtseintrag bzw. Vornamen glaubhaft gemacht wird (BT-Drucks. 20/9049, S. 49). Wann diese Notwendigkeit besteht, ist offen. Bei Dokumenten, die zur Vorlage bei Dritten bestimmt und, etwa für das berufliche Fortkommen, zukünftig noch von Bedeutung sind, wie beispielsweise Zeugnisse, dürfte dies regelmäßig der Fall sein.
Die zu ändernden Dokumente sind im Original vorzulegen und vom Arbeitgeber einzuziehen oder für ungültig zu erklären, § 10 Abs. 2 S. 2 SBGG. Die Neuausstellung erfolgt also Zug-um-Zug gegen Rückgabe des alten Dokuments. Kann das zu ändernde Dokument nicht vorgelegt werden, muss die betroffene Person an Eides statt versichern, dass sie weder im Besitz des Dokumentes ist noch Kenntnis von dessen Verbleib hat, § 10 Abs. 2 S. 3 SBGG.
4. Korrektur der Personalakte/-daten
Angaben zum (vorherigen) Geschlechtseintrag sowie insbesondere zu (vorherigen) Vornamen finden sich auch in der Personalakte, aber auch in den für die Gehaltsabrechnung genutzten Programmen sowie in der Gehaltsabrechnung selbst. Nach dem Grundsatz der Datenrichtigkeit müssen personenbezogene Daten sachlich richtig und auf dem neuesten Stand sein, unrichtige personenbezogene Daten sind zu löschen bzw. zu berichtigen, Art. 5 Abs. 1 lit. d DSGVO. Hiernach ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Stammdaten der Mitarbeiter bei einer Änderung von Geschlechtsangabe und Vornamen entsprechend zu korrigieren bzw. diese auf Aktualität zu überprüfen. Überdies steht der betroffenen Person ein Anspruch auf Berichtigung sie betreffender unrichtiger personenbezogener Daten zu, Art. 16 DSGVO. Daraus resultiert aber kein Anspruch auf Korrektur früherer Angaben in der Personalakte, etwa in Abmahnungen. Diese werden durch die personenstandsrechtlichen Änderungen nicht im Nachhinein unrichtig. Nach der Gesetzesbegründung soll kein Anspruch des Betroffenen bestehen, vom Arbeitgeber rechtmäßig in die Personalakte aufgenommene Dokumente (Dritter) zu ändern. Vielmehr obliege es dem Betroffenen, seinen Anspruch auf Neuerstellung der Dokumente gegenüber dem Verpflichteten gemäß § 10 Abs. 3 SBGG, also der ausstellenden Person oder Stelle, durchzusetzen (BT-Drucks. 20/9049, S. 49). Dies wiederum setzt ein „berechtigtes Interesse“ an der Neuausstellung voraus.
5. Erfüllung von Quotenregelungen
In einigen arbeitsrechtlichen Bereichen gibt es Geschlechterquoten. So muss beispielsweise das Geschlecht, das in der Belegschaft in der
Minderheit ist, mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein, § 15 Abs. 2 BetrVG. Für die Erfüllung von Quotenregelungen ist das im Personenstandsregister eingetragen Geschlecht der Mitglieder zum Zeitpunkt der Besetzung des Gremiums oder Organs maßgeblich, § 7 Abs. 1 SBGG. Auch aus diesem Grund müssen die Personaldaten stets auf aktuellem Stand sein.
6. Entgelttransparenz
Das Entgelttransparenzgesetz hat zum Ziel, das Gebot des gleichen Entgelts für Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durchzusetzen, § 1 EntgTransG. Es unterscheidet (nur) zwischen weib-lichen und männlichen Beschäftigten, siehe §§ 1, 4 EntgTransG. Dem Entgelttransparenzgesetz liegt somit ein binärer Geschlechterbegriff zugrunde. Zur Überprüfung des Gebots der Entgeltgleichheit haben
Beschäftigte einen Auskunftsanspruch über das Entgelt der Vergleichsgruppe, §§ 10 ff EntgTransG. Vergleichsgruppe ist das jeweils andere Geschlecht, dass sich bei einer Veränderung des Geschlechtseintrags entsprechend verändert. Bei einem non-binären Geschlechtseintrag („divers“ bzw. „keine Angabe“) ist aber nach der geltenden Gesetzesfassung eine Zuordnung zu einer Vergleichsgruppe ebenso wenig möglich wie die Verhinderung einer Entgeltdiskriminierung non-binärer Personen.
7. Nichtanerkennung des empfundenen Geschlechts
Eine pauschale Nichtanerkennung des empfundenen Geschlechts kann unter Umständen eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung gemäß den §§ 1, 7 AGG darstellen und insbesondere zu einem verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG führen. Gleichfalls ist denkbar, dass eine Nichtanerkennung des empfundenen Geschlechts zu einer Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts führt, das als sonstiges Recht gemäß § 823 Abs. 1 BGB geschützt ist, sodass Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche bestehen können.
8. Zugangsrecht zu geschlechtsspezifischen Sanitäreinrichtungen
Gemäß dem Anhang 4.1 zu § 3 Abs. 1 ArbStattV muss der Arbeitgeber Toilettenräume für Männer und Frauen getrennt einrichten oder eine getrennte Nutzung ermöglichen. Dasselbe gilt für Wasch- und Umkleideräume. Nach § 6 Abs. 1 SBGG entfaltet die Erklärung über den Geschlechtseintrag Wirkung, soweit dieser im Rechtsverkehr relevant und verbindlich ist. Nach Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister muss daher (wie auch schon zuvor) Beschäftigten der Zugang zu den ihrem eingetragenen Geschlecht entsprechenden geschlechtsspezifischen Einrichtungen gewährt werden. Anderenfalls würde die betroffene Person wegen ihres nunmehr personenstandsrechtlich geänderten Geschlechts benachteiligt, §§ 1, 7 AGG. Auch dies könnte insbesondere einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG zur Folge haben. Bislang ist in der Rechtsprechung nicht hinreichend geklärt, wie sich der Arbeitgeber bei einem „non-binären“ Geschlechtseintrag („divers“ bzw. „keine Angabe“) zu verhalten hat bzw. ob es auch einen Zugangsanspruch entsprechend der empfundenen Geschlechtsidentität ohne entsprechende Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister gibt. Von einer „Problemlösung“ durch ausschließliche Einrichtung sogenannter Unisex-Sanitäreinrichtungen ist abzuraten, da dies gegen die Arbeitsstättenverordnung verstößt. Denkbar ist das Anbieten einer „Dritten Option“, zum Beispiel durch abgetrennte Bereiche zur Einzelnutzung in Umkleideräumen sowie zusätzliche „neutrale“ Toiletten.
9. Fazit
Das Selbstbestimmungsgesetz hat spürbare Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse bzw. die Arbeitswelt. Arbeitnehmerdaten müssen auf aktuellem Stand sein, Personalakten ordnungsgemäß geführt und Arbeits- sowie Ausbildungsverträge und Zeugnisse sowie Leistungsnachweise nach neuestem Stand ausgestellt werden. Bei „berechtigtem Interesse“ sind auch in der Vergangenheit ausgestellte Dokumente entsprechend dem geänderten Geschlechtseintrag sowie dem neuen Vornamen anzupassen. Die notwendige Prüfung der Personalstandsunterlagen ist für Arbeitgeber mit zusätzlichen Kosten und Arbeitsaufwand verbunden. Dasselbe gilt für die Prüfung von biografischen Angaben in dienstlichen Kommunikationsmitteln.
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Autor dieses Beitrags:

Ralph Siebert
Rechtsanwalt in Anstellung
Fachanwalt für Arbeitsrecht
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