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Juni 2024

Das COMI und die internationale Zuständigkeit – Rechtssprechung und Konzept

In jedem gerichtlichen Verfahren spielt die Frage nach der Zuständigkeit des Gerichts eine entscheidende Rolle. Doch gerade im internationalen Verfahren, wo der strikte Territorialitätsgrundsatz eine Durchbrechung erfährt, ist die Bestimmung der Zuständigkeit besonders entscheidend. Die Anfahrtswege können hier nicht nur hunderte, sondern tausende Kilometer lang sein. Neben dem Punkt der örtlichen Nähe werden die Parteien auch ein großes Interesse an der Vermeidung von Sprachbarrieren, der Vertrautheit der einheimischen Rechtsordnung und der Besetzung des Gerichts haben.

Die Zuständigkeit wird im internationalen Rechtsverkehr besonders durch die Voraussetzung des „Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen“ bestimmt. Die Abkürzung COMI stammt hierbei vom englischen Begriff „Centre of Main Interest“ ab. Anhaltspunkte zur Bestimmung des Begriffs finden sich in Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO wieder. Danach soll der „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“, der Ort sein, „an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist“. Bedeutend für die Bestimmung sind demnach zum einen die Belegenheit der Vermögensverwaltung und zum anderen die Erkennbarkeit für Dritte.

Zur Bestimmung des Begriffs des COMI sind mehrere grundsätzliche Entscheidungen ergangen:

  1. In der „Eurofood/Parmalat-Entscheidung“, die auch für die nachfolgenden Verfahren von Bedeutung war, wurde vom EuGH im Jahre 2006 entschieden. Hierbei ging es, um einen italienischen Konzern (Parmalat S.p.A.), der eine Finanzierungsgesellschaft mit Sitz in Dublin (Eurofood IFSC Ltd.) gegründet hatte. Es wurde in der Entscheidung festgelegt, dass nicht interne Organisationsstrukturen („mind-of-management-Theorie“), wie vom italienischen Gericht angenommen, entscheidend sind, sondern die Erkennbarkeit des Verwaltungsortes und Interessenmittelpunktes durch Dritte im Außenverhältnis („Business-activity-Theorie“). Somit können für die Wiederlegung der Vermutung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nur Kriterien zum Tragen kommen, die nach objektiven Kriterien durch Dritte erkennbar sind, wie bspw. der tatsächliche effektive Sitz oder der Ort der Verwaltung und Kontrolle von Geschäftsinteressen.

  1. In der nachfolgenden „Interedil-Entscheidung“ wurde dieses Urteil bestätigt. Die Interedil S.r.l. wurde mit Sitz in Italien gegründet und verlegte am 18. Juli 2001 ihren satzungsmäßigen Sitz nach London. Der EuGH stellte im Jahre 2011 in diesem Zusammenhang zudem fest, dass als „Dritte“ insbesondere die Gläubiger des Insolvenzschuldners anzusehen sind.

  1. In der Galapagos-Entscheidung wurde im April 2014 eine Holdinggesellschaft mit Sitz in Luxemburg nach England verlegt. Am 22. August 2019 wurde die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim High Court of England and Wales beantragt. Am 23. August 2019 wurde ein Insolvenzantrag in Düsseldorf gestellt. Zwei Tage später wurden die Gläubiger über die Sitzverlegung nach Düsseldorf unterrichtet. Der EuGH entschied das Gericht, bei dem zuerst der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eingegangen ist, für die Eröffnung zuständig bleibt. Dieses gilt auch dann, wenn sich der „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ nach Antragsstellung und vor Entscheidung verlegt hat. Der BGH entschied auf Grundlage dieser Entscheidung, dass grundsätzlich ein Gericht eines anderen Mitgliedsstaates, dass sich später mit dem gleichen Antrag befasst, nicht zuständig für die Eröffnung einer Hauptinsolvenz sein kann. Jedoch die Sperrwirkung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO mit dem Austritt Englands und Nordirlands aus der EU und der europäischen Atomgemeinschaft (Brexit) und dem Ende der Übergangsfrist am 31. Dezember 2020 entfallen sei. Der Vollzug des Brexits hat dafür gesorgt, dass die EuInsVO auf England nicht mehr anwendbar ist. Auch habe eine Verfahrenseröffnung durch die Antragsstellung nicht stattgefunden. Damit entfalle die Sperrwirkung des Antrags bei dem High-Court und die internationale Zuständigkeit liege damit in Deutschland.

Letztlich zeigen diese Entscheidungen und rechtlichen Ausführungen, dass einzelne objektiv feststellbare Umstände zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen und es letztlich bei der Festlegung des COMI immer auf eine konkrete Einzelfallbetrachtung ankommt.

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Autor dieses Beitrags:

Sebastian Kölln
Partner
Rechtsanwalt
Fach­anwalt für Insol­venz-
und Sanie­rungs­recht

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