Juni 2025
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch: Die Erhöhung des Pflichtteils anhand fiktiver Nachlasswerte

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch dient dem Schutz der Pflichtteilsberechtigten vor einer gezielten Entreicherung des Nachlasses durch Schenkungen zu Lebzeiten. Er soll verhindern, dass der Erblasser durch unentgeltliche Verfügungen seinen Nachlass reduziert und damit den Pflichtteil der Anspruchsberechtigten schmälert.
1. Der Pflichtteilsanspruch
Der Pflichtteilsanspruch gewährleistet bestimmten nahen pflichtteilsberechtigten Verwandten des Erblassers eine Mindestbeteiligung am Nachlass, auch wenn sie durch ein Testament oder einen Erbvertrag enterbt wurden. Der Anspruch richtet sich auf eine Geldzahlung gegenüber den Erben, welcher sich anhand des Nachlasswertes zum Zeitpunkt des Erbfalles bestimmt.
2. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ergänzt den Pflichtteilsanspruch um den Wert von lebzeitigen Schenkungen des Erblassers. Dabei werden Schenkungen, die der Erblasser getätigt hat, fiktiv zu dem tatsächlichen Nachlasswert hinzugerechnet, als wären diese verschenkten Werte zum Zeitpunkt des Erbfalls noch im Vermögen des Erblassers gewesen. Dabei werden Schenkungen der letzten 10 Jahre vor dem Erbfall berücksichtigt. Bei Schenkungen an den Ehepartner gibt es keine zeitliche Begrenzung. So wird der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten insgesamt erhöht.
3. Die Anspruchsberechtigten
Pflichtteilsberechtigt sind die Abkömmlinge des Erblassers beziehungsweise die Eltern des Erblassers, wenn keine Abkömmlinge vorhanden sind sowie der Ehegatte des Erblassers.
4. Die Höhe des Pflichtteils – und Pflichtteilsergänzungsanspruch
Der Pflichtteils – und Pflichtteilsergänzungsanspruch beträgt immer die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, der im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt ist.
Beispiel: Ein unverheirateter Vater verstirbt und hinterlässt eine Tochter und einen Sohn. In seinem Testament wird die Tochter als Alleinerbin eingesetzt und der Sohn wird enterbt. Nach der gesetzlichen Erbfolge hätten die Kinder des Erblassers den Nachlass zu einem Anteil von jeweils 1/2 erhalten. Durch das Testament wird die Tochter Alleinerbin und der Sohn hat gegenüber der Tochter einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von 1/4 des Nachlasses.
5. Durchsetzung des Pflichtteils – und Pflichtteilsergänzungsanspruch
Die Durchsetzung des Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruchs erfolgt in mehreren Schritten:
Zunächst wird ein Auskunftsanspruchs durch Anforderung eines Nachlassverzeichnisses geltend gemacht. In dem Nachlassverzeichnis gibt der Erbe alle maßgeblichen Aktiva und Passiva zum Zeitpunkt des Erbfalles an. Sollten Werte unklar sein, wie zum Beispiel bei einer Immobilie, wird ein Wertermittlungsanspruch geltend gemacht und der maßgebliche Wert mittels eines Gutachtens ermittelt. Welche Werte für die einzelnen Nachlasspositionen maßgeblich sind, hängt von der jeweiligen Situation im Einzelfall ab. Sobald alle Werte feststehen, kann anhand des (fiktiven) Nachlasswertes die Anspruchshöhe beziffert und der Pflichtteil gegenüber dem Erben konkret beansprucht werden.
6. Abschmelzung
Im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsanspruch ist auch die Abschmelzung zwingend zu beachten. Dabei werden Schenkungen der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall bei der Nachlassbewertung zwar berücksichtigt, jedoch schmilzt der zu berücksichtigende Wert jedes Jahr um 10 % ab. Erfolgte die Schenkung beispielsweise neun Jahre vor dem Erbfall, sind nur noch 10 % des Schenkungswertes zum Nachlass hinzuzurechnen. Bei der Berechnung des Anspruchs muss somit nicht nur darauf geachtet werden, dass alle relevanten Nachlassgegenstände berücksichtigt, sondern auch die korrekten Werte ermittelt werden.
7. Lebensversicherungen
Eine wichtige Position innerhalb des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist der Wert einer Lebensversicherung des Erblassers. Die Auszahlung einer Lebensversicherung fällt nicht in den Nachlass, da in Lebensversicherungen für den Todesfall ein Bezugsberechtigter benannt wird, der die Leistung erhält. Da die bezugsberechtigte Person diese Leistung jedoch aufgrund einer Schenkung erhält, findet diese Position Berücksichtigung im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs. Hierbei sollte allerdings beachtet werden, dass die Auszahlungssumme nicht den Wert darstellt, der für das Nachlassverzeichnis maßgeblich ist, sondern dieser tagesgenau ermittelt werden muss.
8. Fazit
Bei der Geltendmachung des Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruchs kommt es somit nicht nur darauf an, was zum Zeitpunkt des Erbfalls im Vermögen des Erblassers war, sondern es muss auch dasjenige beachtet werden, was dieser zu Lebzeiten verschenkt hat. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, dass nicht nur alle maßgeblichen Nachlasspositionen in die Berechnung einfließen, sondern auch die richtigen Werte für die Berechnung herangezogen werden.
Dabei stellen die Abschmelzung, das Niederstwertprinzip und die unterschiedlichen Verjährungszeitpunkte nur einige von vielen Stolpersteinen dar, die schnell zu einer falschen Berechnung des Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruchs führen können, sodass eine spezialisierte rechtliche Prüfung des Einzelfalles unumgänglich ist.
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Autorin dieses Beitrags:

Jessica Beberok
Rechtsanwältin in Anstellung
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