Dezember 2024
Gewinnausschüttungen vor Insolvenzantragstellung: Risiko der Insolvenzanfechtung und abweichende Rechtsauffassungen
Für Gesellschafter einer GmbH oder Personengesellschaft stellt sich in der Krise der Gesellschaft eine entscheidende Frage: Können Gewinnausschüttungen, die innerhalb eines Jahres vor dem Insolvenzantrag vorgenommen wurden, im Rahmen der Insolvenz rückgängig gemacht werden? Die Insolvenzordnung sieht in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Möglichkeit der Insolvenzanfechtung vor, wenn Ausschüttungen an Gesellschafter wirtschaftlich einem Darlehen entsprechen. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. Juli 2021 hat hier für Klarheit gesorgt, zugleich aber auch erhebliche Diskussionen in der juristischen Fachwelt angestoßen.
1. Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO
Gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO kann der Insolvenzverwalter Rechtshandlungen anfechten, die die Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens oder gleichgestellter Forderungen im Jahr vor Insolvenzantragstellung betreffen. Dies betrifft insbesondere auch Ausschüttungen an Gesellschafter, wenn diese wirtschaftlich einer Darlehensrückzahlung gleichgestellt werden können. Solche Zahlungen gelten als eine Art vorweggenommene Liquiditätsentnahme, die das Vermögen der Gesellschaft zulasten der Gläubiger reduzieren kann.
2. Das Urteil des BGH vom 22. Juli 2021: Anfechtbarkeit der Gewinnausschüttung
In seinem Urteil vom 22. Juli 2021 (BGH, Urteil v. 22.07.2021 – IX ZR 195/20 = NZI 2021, 980) konkretisierte der BGH die Voraussetzungen für die Anfechtbarkeit von Gewinnausschüttungen und knüpfte dabei an seine bisherige Rechtsprechung an. Im zugrunde liegenden Fall hatte eine Alleingesellschafterin einer GmbH eine Ausschüttung aus einem vorgetragenen Jahresüberschuss veranlasst – nur wenige Monate vor dem Insolvenzantrag. Der BGH entschied, dass die Ausschüttung anfechtbar sei, und hob die wirtschaftliche Ähnlichkeit zur Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens hervor.
Der BGH argumentierte, dass das Verbleiben eines Gewinnvortrags über einen längeren Zeitraum der Gesellschaft zusätzliche Liquidität zur Verfügung stellt und einer Darlehensgewährung nahekommt. Demnach könnte eine spätere Ausschüttung dieser Beträge kurz vor der Insolvenz so eingestuft werden, als habe der Gesellschafter sein „Darlehen“ zurückgefordert. Die Voraussetzungen des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO sah der BGH deshalb als erfüllt an und bestätigte die Anfechtbarkeit.
3. Gegenansichten: Keine Anfechtbarkeit?
Das Urteil des BGH trifft jedoch nicht auf einheitliche Zustimmung. Im juristischen Diskurs und in der bisherigen Rechtsprechung gibt es abweichende Meinungen, die insbesondere auf die Eigenkapitalcharakteristik von Gewinnausschüttungen verweisen und diese nicht als wirtschaftlich gleichwertig zu einem Darlehen ansehen. Das OLG Schleswig (OLG Schleswig, Urteil v. 08.02.2017 – 9 U 84/16 = NZI 2017, 452) argumentiert beispielsweise, dass Ausschüttungen aus Eigenkapital nicht den strengen Anfechtungsregeln unterliegen sollten, die für Gesellschafterdarlehen gelten. Diese Auffassung betont, dass das Gesellschaftskapital, anders als Fremdkapital, nicht zur Deckung der Gläubiger herangezogen werden sollte, und daher auch Ausschüttungen aus einem Überschuss nicht rückabgewickelt werden dürften.
In der Literatur wird zudem argumentiert, dass der BGH in seiner Entscheidung lediglich eine spezifische Fallkonstellation entschied, nämlich die Ausschüttung an einen Alleingesellschafter mit umfassendem Einfluss auf Ausschüttungsentscheidungen. Nach dieser Meinung sollte eine Anfechtbarkeit daher auf Fälle beschränkt bleiben, in denen Gesellschafter eine maßgebliche Einflussnahme auf die Ausschüttung haben, etwa bei Alleingesellschaftern oder Mehrheitsgesellschaftern, die Ausschüttungsbeschlüsse durchsetzen können. Minderheitsgesellschafter, die keine direkte Entscheidungsgewalt über die Ausschüttung besitzen, würden nach dieser Auffassung vom Anfechtungsrisiko weitgehend ausgeschlossen bleiben.
Darüber hinaus wird im Schrifttum angemerkt, dass § 135 InsO und § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, welche die Gleichstellung von Gesellschafterdarlehen regeln, nicht auf Eigenkapital anwendbar sein sollten. Diese Normen sollen das Fremdkapital betreffen, wodurch Gewinnausschüttungen als Teil des Eigenkapitals per se nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschriften fallen würden.
4. Einzellfallbetrachtung
Ob eine Gewinnausschüttung im Insolvenzfall anfechtbar ist, hängt letztlich stark vom Einzelfall ab. Die Frage, ob eine Ausschüttung als wirtschaftlich gleichwertig zu einem Darlehen betrachtet werden kann, ist in der Praxis oftmals von komplexen bilanziellen und wirtschaftlichen Überlegungen geprägt. Es bedarf daher einer detaillierten Analyse, ob die Bedingungen für eine Anfechtung gegeben sind.
Gesellschafter sind gut beraten, sich bei Ausschüttungsbeschlüssen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten durch einen Fachanwalt beraten zu lassen. Besonders für Gesellschaften, die sich in einer finanziellen Schieflage befinden, ist es wichtig, Ausschüttungen kritisch zu prüfen, um nicht ungewollt ein Anfechtungsrisiko zu schaffen. Die juristische Expertise kann hier helfen, die Risiken präzise abzuwägen und eine Anfechtbarkeit der Gewinnausschüttung im Falle einer Insolvenz möglichst zu vermeiden.
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Autor dieses Beitrags:
Sebastian Kölln
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Insolvenz- und
Sanierungsrecht
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