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Oktober 2024

Mindestlohnwirksamkeit von Sonderzahlungen: Keine einseitige Umstellung von jährliche auf monatliche Zahlungen

Mit dem Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns wurde ab dem 1. Januar 2015 ein bundesweiter flächendeckender Mindestlohn pro Zeitstunde festgelegt. Durch das Mindestlohnerhöhungsgesetz wurde er ab dem 1. Oktober 2022 auf 12 Euro erhöht. Gemäß der Vierten Mindestlohnanpassungsverordnung beträgt der Mindestlohn seit dem 1. Januar 2024 12,41 Euro und ab dem 1. Januar 2025 12,82 Euro.

Der gesetzliche Mindestlohnanspruch wird insbesondere durch die entsprechende Regelvergütung in Geld erfüllt. Ob und welche weiteren Zahlungen des Arbeitgebers mindestlohnwirksam sind, ist im Mindestlohngesetz (MiLoG) nicht geregelt. Nach einer aktuellen Entscheidung des LAG Baden-Württemberg ist es einem Arbeitgeber nicht gestattet, jährliche Einmalzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung künftig in monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie anteilig auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können.

1. Bezugszeitraum

Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn entsteht mit jeder geleisteten Arbeitsstunde (§ 1 Abs. 2 i.V.m. §§ 20, 1 Abs. 1 MiLoG). Erfüllt ist der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, wenn die für den Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit dem gesetzlichen Mindestlohn ergibt. Erfüllung tritt mit Zahlung des Bruttoarbeitsentgelts ein. Auch verspätete Zahlungen können Erfüllungswirkung haben (BAG vom 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16).

Der Mindestlohn ist nicht nur für die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden zu zahlen, sondern auch für alle Zeiträume, für die Vergütung fortzuzahlen ist, insbesondere auch im Rahmen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen (BAG vom 30. Januar 2019 – 5 AZR 43/18) und während des Urlaubs sowie bei sonstiger vom Arbeitgeber zu vergütender Arbeitsverhinderung (BAG vom 18. November 2015 – 5 AZR 761/13).

2. Differenzanspruch

Entgeltvereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten, sind unwirksam, § 3 MiLoG („Unabdingbarkeit des Mindestlohns“). § 3 MiLoG führt bei Unterschreitungen des gesetzlichen Mindestlohnes zu einem Differenzanspruch. Erreicht die vom Arbeitgeber tatsächlich gezahlte Vergütung den gesetzlichen Mindestlohn nicht, begründet dies von Gesetzes wegen eines Anspruchs auf Differenzvergütung, wenn der Arbeitnehmer in der Abrechnungsperiode für die geleisteten Arbeitsstunden im Ergebnis nicht mindestens den in § 1 Abs. 2 MiLoG vorgesehenen Bruttolohn erhält.

Das erfordert die schlüssige Darlegung der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden durch den Arbeitnehmer. Die Behauptung einer aus dem Durchschnitt eines Zeitraums ermittelten Stundenzahl reicht nicht aus (BAG vom 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16). Für die schlüssige Begründung einer auf Zahlung der Differenzvergütung zum gesetzlichen Mindestlohn gerichteten Klage ist es erforderlich, für jeden Kalendermonat ein konkret beziffertes Unterschreiten des gesetzlichen Mindestlohns darzulegen (BAG vom 24. Juni 2021 – 5 AZR 505/20).

3. Erfüllung des Mindestlohnanspruchs

Alle im Synallagma (Austauschverhältnis) stehenden Geldleistungen des Arbeitgebers sind geeignet, den Mindestlohnanspruch zu erfüllen. Nur solchen Zahlungen fehlt die Erfüllungswirkung, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf tatsächliche Arbeitsleistung erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung (z.B. § 6 Abs. 5 ArbZG: Zuschlag als Ausgleich für Nachtarbeit) beruhen (BAG vom 20. September 2017 – 10 AZR 171/16).

Erfüllungswirkung haben beispielsweise:

  • Leistungsprämien, Funktions- und Wechselschichtzulagen (BAG vom 21. Dezember 2016 – 5 AZR 374/16),
  • vertraglich vereinbarte Sonn- und Feiertagszuschläge (BAG vom 24. Mai 2017 – 5 AZR 431/16; BAG vom 17. Januar 2018 – 5 AZR 69/17),
  • Schichtzulagen (BAG vom 22. März 2017 – 5 AZR 424/16),
  • Laufende Anwesenheitsprämien (BAG vom 6. Dezember 2017 – 5 AZR 864/16),
  • Besitzstandszulagen (BAG vom 6. Dezember 2017 – 5 AZR 699/16),
  • Treueprämien, die für jede Arbeitsstunde gezahlt werden (BAG vom 22. März 2017 – 5 AZR 666/15),
  • Akkordzulagen (LAG Hamm vom 22. April 2016 – 16 Sa 1627/15).

Demgegenüber sind nicht mindestlohnwirksam:

  • die Zahlung der gesetzlichen Feiertagsvergütung oder des gesetzlichen Urlaubsentgelts, beides kann nicht auf den Mindestlohn für die geleisteten Arbeitsstunden angerechnet werden (BAG vom 20. September 2017 – 10 AZR 171/16),
  • Spesen, Aufwandsentschädigungen und Fahrtkostenerstattungen (LAG Baden-Württemberg vom 27. August 2012 – 9 Sa 187/11),
  • der Arbeitgeberanteil an den vermögenswirksamen Leistungen (LAG Baden-Württemberg vom 11. Januar 2024 – 3 Sa 4/23),
  • Fahrtkostenzuschüsse, wenn es sich um echten Aufwendungsersatz und nicht um „verschleiertes Arbeitseinkommen“ handelt (LAG Baden-Württemberg vom 11. Januar 2024 – 3 Sa 4/23).

4. Mindeslohnwirksamkeit von Sonderzahlungen

Zahlt der Arbeitgeber monatlich eine Sonderzahlung, z.B. ein zusätzliches Urlaubs- und Weihnachtsgeld in zwölf monatlichen Teilbeträgen, ist dies auf den im jeweiligen Monat entstandenen Mindestlohnanspruch anzurechnen (BAG vom 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16). Der Arbeitgeber hatte mit dem Betriebsrat eine „Betriebsvereinbarung Inkrafttreten Mindestlohngesetz“ geschlossen, die die Fälligkeit von arbeitsvertraglich vereinbarten Jahressonderzahlungen (Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld) dahingehend regelt, dass diese in Höhe von 1/12 für jeden Kalendermonat zur betriebsüblichen Fälligkeit der Monatsvergütung zur Zahlung fällig sind.

Ist hingegen vereinbart, dass Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld als jährliche Einmalzahlung gewährt werden, beispielsweise das Urlaubsgeld mit der Vergütung für den Monat Juni und das Weihnachtsgeld mit der Vergütung für den Monat November, kann der Arbeitgeber die Sonderzahlungen nicht kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen gewähren, um sie pro rata temporis auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können. Dem steht die Zweifelsregelung in § 271 Abs. 2 BGB entgegen, sodass die monatlichen anteiligen Auszahlungen der Sonderzahlungen nicht mindestlohnwirksam sind (LAG Baden-Württemberg vom 11. Januar 2024 – 3 Sa 4/23).

5. Praxishinweis

Für eine Anrechnung bleibt kein Raum, wenn schon die vertraglich geschuldete Stundenvergütung den Mindestlohn erreicht oder übersteigt (BAG vom 11. Oktober 2017 – 5 AZR 621/16). Unterschreitet die Grundvergütung den gesetzlichen Mindestlohn nicht, sind daher beispielsweise auch Sonderzahlungen weiterhin neben der regulären Vergütung zu zahlen.

Bei Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohns können Arbeitgeber in monatlichen Raten ausgezahlte (jährliche) Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld nur dann auf den gesetzlichen Mindestlohnanspruch anrechnen, wenn:

  • die monatliche Auszahlung individuell mit den Arbeitnehmern (neu) vereinbart wurde,
  • die Sonderzahlung unter einem (wirksamen) Freiwilligkeitsvorbehalt steht, auf dieser Grundlage eingestellt und mit anderen (monatlichen) Fälligkeitszeitpunkten neu gewährt wird oder
  • die monatliche Auszahlung in einer Betriebsvereinbarung geregelt ist; insoweit besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG (Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte).

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Autor dieses Beitrags:

Ralph Siebert
Rechtsanwalt in Anstellung 
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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