Februar 2024
Videoüberwachung am Arbeitsplatz – Führt ein Verstoß gegen die DSGVO zu einem Beweisverwertungsverbot im Kündigungsschutzprozess?

Wie wirkt sich eine zu Dokumentationszwecken dienende, jedoch gegen Datenschutzvorgaben verstoßende Videoüberwachung auf den Kündigungsschutzprozess aus, wenn die dokumentierte vermeintliche Pflichtverletzung des Arbeitnehmers Kündigungsgrund war? Folgt aus einem rechtswidrig erlangten Beweis ein Beweisverwertungsverbot im Kündigungsschutzprozess, oder muss im Sinne einer Verwertung konsequent zwischen „Datenschutz“ und „Täterschutz“ differenziert werden? In der Praxis eine immer wieder anzutreffende Thematik, die häufig Gegenstand verschiedener gerichtlicher Entscheidungen ist und einer hohen Dynamik unterworfen ist.
Mit dieser Frage setzte sich das Bundesarbeitsgericht etwa in seiner Entscheidung vom 29.06.2023 (BAG Urt. v. 29.06.2023 – Az. 2 AZR 296/22) auseinander.
1. Sachverhalt
Der Kläger war bei der Beklagten als Teamsprecher in einer Gießerei beschäftigt. Die Beklagte warf dem Kläger vor, sich unter anderem am Samstag, den 2. Juni 2018, im Rahmen einer sog. Mehrarbeitsschicht vor Schichtbeginn unerlaubt von dem Betriebsgelände der Beklagten entfernt zu haben. Die geschuldete Arbeitsleistung sei durch den Kläger somit nicht erbracht worden. Der Kläger habe jedoch trotzdem das Arbeitsentgelt von der Beklagten angenommen.
Aufgrund dessen kündigte die Beklagte den Kläger außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich fristgerecht zum nächstmöglichen Zeitpunkt.
Kenntnis von dem vermeintlichen Pflichtverstoß habe die Beklagte durch einen anonymen Hinweis erhalten. Der Kläger sei auf einer Videoaufnahme einer am Tor des Betriebsgeländes angebrachten Kamera gesichtet worden, wie er das Betriebsgelände vor Beginn der Mehrarbeitsschicht verließ.
Der Kläger erhob daraufhin form- und fristgerecht Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Hannover. Im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses machte der Kläger geltend, dass die erfolgten Videoaufnahmen sowohl gegen Bundes- als auch EU-Datenschutzrecht verstoßen würden. Zudem sei die zulässige Speicherdauer von 96 Stunden überschritten worden. Auch sehe die Betriebsvereinbarung vor, dass Videoaufzeichnungen nicht zur Auswertung personenbezogener Daten verwendet werden dürften. Im Ergebnis würde sich aus diesen Verstößen ein Beweisverwertungsverbot ergeben.
Sowohl das Arbeitsgericht Hannover (ArbG Hannover Urt. v. 11. September 2020 – 6 Ca 116/29) als auch das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG Niedersachsen Urt. v. 6. Juli 2022 – Az. 8 Sa 1149/22) schlossen sich dieser Rechtsauffassung an und gaben der Kündigungsschutzklage statt.
Die beklagte Arbeitgeberin legte daraufhin Revision vor dem Bundesarbeitsgericht ein.
2. Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht hingegen schloss sich der Rechtsauffassung der Instanzgerichte nicht an und hob die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf.
Das Bundesarbeitsgericht führte aus, dass es mit Blick auf eine Verwertbarkeit im Kündigungsschutzprozess keine Rolle spiele, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Anforderungen des europäischen sowie nationalen Datenschutzrechts entspreche. Einer Verwertung personenbezogener Daten von Arbeitnehmern durch die Arbeitsgerichtsbarkeit stehe die DSGVO grundsätzlich nicht entgegen. Dies gelte insbesondere dann, wenn eine vorsätzliche Pflichtverletzung des Arbeitnehmers streitgegenständlich sei und die jeweilige Videokamera durch ein Schild gekennzeichnet ist.
Anhand dieser Umstände sei durch das Tatsachengericht eine Interessenabwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen.
Nach der Abwägungslehre im Strafprozess, die hier herangezogen wurde, werden im Strafprozess das Interesse des Beschuldigten an einer Nichtverwertung des Beweises und das staatliche Strafverfolgungsinteresse gegeneinander abgewogen.
In dem vorliegenden Fall sind somit der datenschutzrechtliche Verstoß sowie ein potenzieller Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gegen das Interesse der Beklagten an einer Verwertbarkeit im Kündigungsschutzprozess abzuwägen.
Aufgrund der vorzunehmenden Abwägung kam das Bundesarbeitsgericht – anders als die Instanzgerichte – zu dem Ergebnis, dass das Interesse des Arbeitgebers an der Sanktionierung eines vorsätzlich begangenen Pflichtverstoßes, welcher einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 I BGB darstellt, dem Interesse des Arbeitnehmers an einer Nichtverwertung überwiege.
3. Fazit
Das BAG bleibt seiner verwertungsfreundlichen Rechtsprechung treu.
Ein datenschutzrechtlicher Verstoß führt nicht zwingend zu einem Beweisverwertungsverbot im Kündigungsschutzprozess, da unterschiedliche Schutzzwecke verfolgt werden. Es ist zudem i.S.d. Abwägungslehre eine Interessenabwägung der Pflichtverletzung des Arbeitnehmers sowie des datenschutzrechtlichen Verstoßes vorzunehmen. Je nach dem Ergebnis der einzelfallbezogenen Interessenabwägung liegt ein Beweisverwertungsverbot vor oder nicht.
4. Praxistipp für Arbeitgeber und Berater
Sofern Arbeitnehmer sich im Kündigungsschutzprozess auf ein aus einem Verstoß gegen die DSGVO folgendes Beweisverwertungsverbot berufen, sollte im Rahmen des prozessualen Schriftverkehrs sorgfältig dargelegt werden, warum ein Interesse des Arbeitgebers an einer Verwertung denjenigen Interessen des Arbeitnehmers an einer Nichtverwertung überwiegt. Zudem sollten Kameras, welche auf dem Betriebsgelände zur Überwachung der Arbeitnehmer genutzt werden, immer gekennzeichnet sein, um ein potenzielles Interesse an einer Nichtverwertung gewonnener Beweise zu minimieren.
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Autor dieses Beitrags:

Jan Arne Killmer
Partner
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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